Notizblock 07 (Caravaggio)

Über die Oberkasseler Brücke fahren U-Bahnen nach Oberkassel. (Die nächste Brücke heißt Theodor-Heuss-Brücke und führt von Golzheim nach Niederkassel.)

Zuerst die grüne Kuppel der Tonhalle. Dann das NRW-Forum, Ehrenhof 2, Bruce Naumann, Mental Exercises. Danach museum kunst palast, Caravaggio, Auf den Spuren eines Genies, Ehrenhof 4-5. Dazwischen ein kleines Gebäude, in der Studenten ihre Werke ausstellen, Pavillon der Bildhauerei, von Markus Lüpertz entworfen.

Alle drei Gebäude – der Ehrenhof-Komplex- stammen aus der Mitte der 20er Jahre und wurden von einem Architekten entworfen, Wilhelm Kreis. Die Tonhalle war früher ein Planetarium, wurde während des Kriegs schwer beschädigt und Ende der 70er Jahre umgebaut. Das NRW-Forum ist das ehemalige Reichsministerium für Gesellschafts- und Wirtschaftskunde. Es wird erst seit 1998 für Ausstellungen genützt. Auch das museum kunst palast wurde Mitte der 90er Jahre renoviert und umgebaut und besteht jetzt aus einem zentralen Kuppelraum im kubischen Anbau, flankiert von zwei Skulpturenhöfe mit Glasdächern.

Beim Betreten des Ehrenhofs ist das nicht sichtbar. Ins Auge stechend die Verbindung von grauem Stein und schmalen roten Ziegeln; die patinierten klassizistischen Skulpturen; einige aus Stein gehauen klobige Figuren an den Portalen. Darüber: ARTIBUS.

Warum Caravaggio? Vor mir aus aufgrund des Unwissens über Biographie, Maltechnik, Sujets. Was seine Malerei betrifft: mehr am Thema Momentaufnahme interessiert, nicht so sehr an der Darstellung von Gewalt.

Relativ schnell durchgegangen, nur ein verstecktes Foto, das nichts zeigt. Sehr dunkle Räume. Auch Kopien sind zu sehen, auch Röntgenaufnahmen, die dazu dienen sollen, die Originale von den Gemälden der Kopisten zu unterscheiden. Manchmal zwei oder mehr Kopien zum Vergleich. Manchmal nur kleine Fotos von den Gemälden, der Originale oder Originalkopien.

Bei Caravaggio dieser Spot auf einem bestimmten Augenblick. Dazu glatter Farbauftrag, für mich eigentlich zu glatt, deutliche Linienführung.

Ich bemerke, daß mich nicht das Barocke distanziert, sondern die Thematik aus Bibel und Mythologie. Ich brauche die Mythologie nicht, obwohl ich mich als Student eingehend damit befaßt habe, nicht ohne Anteilnahme. Mindestens ebenso intensiv mit der Bibel, auch mit einigen Figuren des Alten Testaments.

Meine Distanz zu allem, was die Antike wieder beleben will, was dem Realen einen antiken Mantel überwerfen will. Das heißt nicht, daß ich das nicht als Grundlage aller europäischen Kulturleistung anerkennen will. Aber als Realist berufe ich mich zuerst auf die zeitgenössischen Realien. Wenn ich es für nötig halte, verfolge ich die historischen Entwicklungslinien. Ich will vor allem ins 20. und 21. Jahrhundert eingebunden bleiben, ohne die Zeit davor, weder das 19., das 18. usw. ausschließen zu wollen. Bei Notwendigkeit plädiere ich für einen schweifenden Fokus. Trotzdem beginnt meine Zeitrechnung mit der Aufklärung.

Ob Caravaggio Vorzeichnungen gemacht hat, ist ungeklärt. Die Röntgenbilder jedoch Unterschiede in der Art der Vorzeichnung als Unterscheidungsmerkmal von seinen Schülern. Er selbst hat keine Weißvorzeichnungen gemacht, sondern Ritzungen zur Orientierung mittels der Rückseite des Pinsels, einem Federhalter oder Stichel.

Nur karge Spuren seines Lebens. In Rom, dort aneckend aufgrund der Auffassung von Natur, also dem Erscheinen der Natur auf seinen Bildern. Daß es ihm nicht um das Konservieren des Erhabenen geht, sondern ein neuer Hang zur Wahrheit zutage tritt, macht ihn mir sympathisch, daß er damit Irritation der Kollegen und der nachfolgenden Generationen bewirkt hat.

Mir war nicht bekannt, daß Caravaggio erst 1911 eine Dissertation wieder aus der jahrhundertelangen Vergessenheit befreit und daß erst 40 Jahre später die Ausstellung Caravaggio e i Caravaggeschi in Mailand Startschuß für den bis jetzt anhaltenden Caravaggio –Hype gesorgt hat. Dazu zählen auch Romane wie der von Dominique Fernandez „La course à l’abime“, der die wenigen bekannten Fakten mit 80 % Erfundenem erweitert. Darin wird dieses ständige Zittern vor der Gefahr, wie es in vielen Bildern sichtbar wird, solchen mit Marter, Mord und Enthauptungen, mit Caravaggios Homosexualität erklärt.

Leonardo da Vinci (1452-1519) notiert dazu: „Stelle die Besiegten und Geschlagenen bleich dar,... die Haut über den Brauen von Schmerz zerfurcht,... die Münder offen als stießen sie Klageschreie aus... Mache das Blut durch seine Farbe sichtbar, wie es sich als Rinnsal aus der Leiche in den Staub schlängelt. Zeige andere im Todeskampf mit knirschenden Zähnen, rollenden Augen, die Fäuste gegen den Körper gepreßt und mit verdrehten Beinen.“

Die Diskussion um Zuschreibungen wird durch deren Schwierigkeit geschürt, ähnelt damit oft einem Kunst-Krimi. Daß die gewalttätige Seite der katholischen Religion, also einer monotheistischen Religion, damit das Martyrium, ein zentrales Thema ist, sorgt ebenfalls für Aktualität. Genauso, daß die unsichere Übergangszeit vom 16. zum 17. Jh. mit den heutigen Transformationsprozessen vergleichbar ist.
Es gibt mehrere Gründe, warum ich mich nicht sehr lange bei Caravaggio aufgehalten habe: 1. die Dunkelheit; 2. das Gedränge; 3. die adleräugigen Museumswärter; 4. daß ich mich von Gewalt abgestoßen und verängstigt fühle. Ein abgeschlagener Kopf, auch auf einem Gemälde, bewirkt zweierlei: ich erfahre meine Abstumpfung; ich erfahre mit einem Blick alle Unmenschlichkeit, von der ich umgeben bin. Abgestumpft bin ich, um zu überleben in der zufällig so entstandenen Idylle, deren Schein ich täglich nähre und aufrechterhalte. Das ist auch eine Form der Unmenschlichkeit, denn der einzig wahrhaftige Antrieb wäre der, nicht aus der Beobachterposition zu leben, sondern die Rolle des Handelnden zu übernehmen.

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