Notizblock 08 (127 corpos)

Der weitere Weg führte mich durch Altstadt, vorbei an der Kunstakademie, durch die Mühlengasse zuerst zur Kunsthalle Düsseldorf, dann zum Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen. Nur mit der darin befindliche Ausstellung befindlichen Ausstellung 127 corpos von Teresa Margolles wollte ich mich befassen.

Ein langer, leerer, weißer Raum. Darin eine aus 127 Einzelteilen zusammengeknüpfte Schnur straff gespannt, etwa in Hüfthöhe. So wurde der Raum in einen betretbaren und in einen nicht betretbaren Abschnitt geteilt. Die Schnur verhinderte das Weitergehen. Man hätte über sie steigen können. Man könnte auch unter ihr hindurchkriechen. Ich dacht nicht einmal daran.

Ich ging mehrmals ganz nah entlang dieser Schnur und schaute mir die einzelnen Teile, die Verknotungen und Aufzwirbelungen, aber auch die Verfärbungen ganz genau an. Ich hatte kein anderes Gefühl, als daß ich das wie durch ein Mikroskop betrachten müßte, obwohl ich wußte, daß die Verfärbungen nicht von Farbe, sondern Flüssigkeiten und Fett aus toten menschlichen Körpern stammten.

Was hier verknüpft wurde, waren die Überreste von Fäden, mit denen Körper von Menschen, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind, nach der Autopsie vernäht worden waren - der Überschuß nach dem Vernähen des Thoraxial-Schnittes, der gewöhnlich im Abfallkübel verschwand.

Ich suchte nach Kriterien der Aufeinanderfolge der Fäden, fand aber keine gefunden. Die Partikel waren verschieden lang; die Knotenenden waren verschieden lang; manchmal zwirbelten sich die Enden; an manchen Stellen waren sie rötlich oder bräunlich gefärbt.

Ich machte etwa 20 Fotos mit Blitz aus ziemlicher Nähe. Auf jeden Foto war mindestens ein Knoten zu sehen. Durch den Blitz war das sichtbare Fadenstück viel heller als bei natürlicher Betrachtung dieses Raums. Der Hintergrund war dunkel, der Schatten hob sich deutlich ab. Ich roch währenddessen nichts Besonderes, was auch nur ein Manko meines Geruchsempfindens sein konnte.

Dieser auf einer Länge von ca. 40 Metern zusammengeknotete Faden war Trägermaterial. Die Einzelfäden hatten etwas von den Körpern der Ermordeten aufgesaugtn - scheinbar sanfte Verweise auf Gewalttaten. Dahinter standen aber plötzlich beendete Leben, Familien, die ins Unglück gestürzt wurden, zerstörte menschliche Strukturen. Jedes Fadenstück verband mich mit einem menschlichen Körper, der bereits begraben und vielleicht schon verrottet war.

Es gab keinen Anhaltspunkt, der mir als Betrachter erlaubte, mich an etwas Individuelles zu erinnern. Es ging nur um die Tatsache, daß mit jedem Gegenstand, und sei er auch noch so unscheinbar, mindestens eine Lebensgeschichte verbunden ist.

Margolles sagte in einem Interview, sie beschäftige sich mit der physischen und sozialen Verwandlung des Körpers. Obwohl sie sich mit gewaltsamem Tod, Schmerz und Leere auseinandersetze, wolle sie Schrecken und Ekel nicht in ihren Diskurs einbeziehen. Sie verwies auf die hohen Mordraten in Lateinamerika: 2006 bis jetzt 7.000 Ermordete, in den letzten vier Jahren mehr als 4.000 Frauen in Mexiko. In Guatemala zwischen Januar und Juli mehr als 5.000 Ermordete. Sie sagte, sie wolle keinen Anschlag auf den Körper des Betrachters ausüben, sondern diesen mit einer Realität konfrontieren. Die Leichenschauhäuser der verschiedenen Städte und Länder betrachte sie als Abbild des jeweiligen Gewaltniveaus und der dort herrschenden Lebensform und auch –normalität.

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